Zurück zur Übersicht

Commandante (im Kino)

#VERSCHIEDENES #ZIGARREN 14. Januar 2005



Seit gestern im Kino: Oliver Stones Dok über Fidel Castro. Über Perspektive und Qualität gibt nachfolgender FAZ-Artikel Auskunft:

14. Januar 2005 Fidel Castro hat eindrucksvolle Hände mit sehr langen Fingern und sehr gepflegten Nägeln, Hände, an denen niemand Blut vermuten würde. Wenn Castro anhebt zu sprechen, modulieren diese Hände die Wörter, noch bevor sie seinen Mund verlassen. Manchmal scheint es, als brauche er sie, um seine Äußerungen zu beschleunigen, die von einer Reihe irritierend beweglicher Zähne gebremst werden.

Wenn Castro nachdenkt, beißt er manchmal auf einem der schönen Finger herum, wenn er sich aufregt, schießt die Hand mit gestrecktem Zeigefinger aus der Hüfte. Doch Castro regt sich selten auf im Gespräch mit Oliver Stone. Nicht einmal, als dieser ihn fragt, ob er je beim Psychiater gewesen sei. Warum sollte er, fragt Castro zurück. Stone schaut ihn ungläubig an, als gäbe es immer einen Grund.

Viele Stunden lang im Gespräch

Der amerikanische Regisseur hatte die seltene Gelegenheit, im Auftrag des Fernsehsenders HBO Fidel Castro im Jahr 2003 einige Tage zu begleiten und viele Stunden lang mit ihm zu sprechen. Verabredet soll einzig gewesen sein, daß Castro nicht jede Frage beantworten mußte und die Kamera abgestellt würde, sobald er es verlangte. Vielleicht waren auch Fragen nach politischen Häftlingen verboten, jedenfalls unterließ sie Stone.

Sein Film, zusammengeschnitten aus diesen Gesprächen und einer Unzahl von Dokumentaraufnahmen der vergangenen vierzig Jahre, wurde nie ausgestrahlt. Stone habe, so hieß es, zu Castro nicht die für einen Dokumentaristen nötige Distanz gewahrt. Er sei ihm auf den Leim gegangen, bedeutet das, kein ungerechter Vorwurf. „Comandante” feierte dann beim Filmfestival von Sundance 2004 Premiere und war in jenem Jahr auch auf der Berlinale zu sehen.

Große Männer für historische Momente

Wenn zwei Männer wie Stone und Castro zusammentreffen, zwei Machos alter Schule, um mythenselig gemeinsam durch die Geschichte zu segeln, kann man keine Kritik erwarten, das hätte man wissen können bei HBO. Beide sind davon überzeugt, daß die Welt große Männer braucht, die historische Momente zeugen, beide wollen nicht wahrhaben, daß sie das Alter einmal fällen wird. Castro glaubt lieber immer noch, daß er als Opfer eines Attentats sterben wird, und Oliver Stone glaubt überhaupt nicht an den Tod.

Daß Stone ein furioser Filmemacher ist, der jeden visuellen Effekt kennt, der sich aus der Montage von Material aus unterschiedlichsten Quellen – Nachrichtensendungen, Propagandafilme, Werbeaufnahmen, aktuelle Ansichten von Kuba und vor allem aus Havanna und die vielen Stunden der Gesprächsaufzeichnungen – gewinnen läßt, dafür bietet auch „Comandante” reichlich Beweise. Dennoch kommt der Film streckenweise bei allem Herumreißen der Kamera, allen rasanten Schnittfolgen und all den Überlagerungen von spanischem O-Ton, englisch eingelesener Übersetzung, Musik und Geräuschen im Soundtrack manchmal etwas behäbig daher. Das mag damit zu tun haben, daß Stone gegenüber Castro wenig raffiniert wirkt. Wenn er mit der Wasserflasche in der Hand neben der sehr viel größeren, imposanteren Gestalt Castros durch die Gänge des Regierungspalasts läuft, im Auto sitzt oder ihr direkt gegenübersteht, sieht er harmloser aus, als ihm lieb sein kann.

Zwei traumatische Erlebnisse

Es gab, wenn man Stones Film glauben will, zwei Ereignisse im Leben Castros, die diesen traumatisch prägten: der Tod seiner Mutter und der Tod Che Guevaras. Es gibt sehr viel mehr Dinge, die ihn mit Stolz erfüllen, etwa die Freundschaft zu Ernest Hemingway, von dem er ein Foto in seinem Büro aufgehängt hat, die Revolution natürlich, der Bildungsstandard seines Volkes, die freien Wahlen – die demokratischsten der Welt, sagt er, weil wirklich alle zu den Urnen gehen und immer wieder Castro wählen. Seine Träume wurden wahr. Würde er etwas anders machen, hätte er diese Chance, fragt Stone ihn zum Abschluß. Nach der Aufzählung der historischen Erfolge dieses Lebens ist das nur mehr eine rhetorische Floskel.

Stone und Castro, die beiden großen Demagogen, sind humorlos bis in die Knochen. Aber einen lustigen Augenblick gibt es doch in „Comandante”. Stone, der außer großen Männern auch eine große Frau porträtiert hat, nämlich Evita Perón – er schrieb mit Alan Parker das Drehbuch für dessen „Evita”-Film -, schmuggelt auch seine eigenen Besessenheiten ins Gespräch mit dem kubanischen Revolutionär. Glaubt Castro an den Einzeltäter bei der Ermordung von JFK? Wer war für ihn Nixon? Und, ohne den Anflug eines Lächelns: „Sind Sie eine neue Evita Perón?” Castro immerhin lacht ein wenig. Er sehe da keine Ähnlichkeit, sagt er. Selbst der flüchtigste Blick muß ihm Recht geben.

Als Oliver Stone anläßlich seines Films über Alexander den Großen gefragt wurde, warum ihn ausgerechnet der siegreiche Feldherr interessiere, antwortete er: „Wer sonst?” Da hatte er bereits Filme über Kennedy, Nixon, Larry Flint und die „Doors” gedreht, und auch „Comandante” dürfte schon im Kasten gewesen sein. Welch große Gestalt war da noch übrig außer dem Makedonier? Zu Beginn von Stones „Alexander” heißt es: „Träumer müssen sterben, bevor sie uns mit ihren Träumen umbringen.” Das ist eine Weisheit, die Oliver Stone offenbar erst gefunden hat, nachdem er längst wieder aus Kuba abgereist war.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.01.2005, Nr. 11 / Seite 31

Weiter Entdecken